Fern und doch so nah
In der deutschlandweiten Digitalisierung des Rundfunks ist eine neue Phase angebrochen. Nach der Einführung kleiner digitaler Produktionsinseln und deren anschließender Vernetzung steht jetzt die großflächige Vernetzung der verschiedenen Standorte ins Haus. Das Ergebnis: ein landesweites NEXUS-Netz
HR-Regionet setzt auf ein Team aus IT-Technik und NEXUS
Die Landesrundfunkanstalten in Deutschland betreiben seit jeher einen regen Signalaustausch zwischen den Haupthäusern und ihren Regionalstudios. Mit der zunehmenden Digitalisierung weitete sich dieser Austausch immer mehr aus. Die Übertragung reiner Audio- und Videosignale, Telefon-, Netzwerk- und Steuerdaten wurde seither mit einer jeweils eigenen technischen Lösung realisiert, so dass der Status quo heutzutage ein gewachsenes Allerlei aus verschiedenen physikalischen und logischen Verbindungen ist. Eine Änderung dieses Zustands ist dringend notwendig, damit die Dienste in Zukunft gebündelt von einem Provider mit einer Technologie umgesetzt werden können.
Farbiges NEXUS
Die erste deutsche Landesrundfunkanstalt, die eine derartige Bündelung einführt, ist der Hessische Rundfunk HR mit seinem Projekt Regionet. Es verbindet alle fünf Außenstandorte in ganz Hessen über Dark Fibre1 und ein CWDM2-System mit dem Mutterhaus in Frankfurt. Eine Lichtfarbe dieses optischen Multiplexverfahrens verwendet der HR für die Übertragung von SDI, Kommandosignalen und Gigabit-Ethernet für File-Transfer, zwei weitere Lichtfarben werden in einer späteren Phase des Projekts für Speichervernetzung eingesetzt. Die vierte Lichtfarbe schließlich dient exklusiv der Verkopplung der NEXUS-Audiokreuzschienen aller Standorte.
Qualität und Quantität
NEXUS ist ein guter Bekannter im HR, der bereits im Jahr 1999 seine analoge Audiotechnik im Hauptschaltraum des Hörfunks durch einen NEXUS-Audio-Router ersetzte. Sämtliche Hörfunkstudios und einige Außenstandorte arbeiten mit NEXUS. Das neue Regionet fasst diese einzelnen NEXUS-Inseln zu einem städteübergreifenden HR-Gesamtaudionetz zusammen. Das ist in der Welt des Rundfunks einmalig!
Man bedenke: Im Normalfall werden Audioverbindungen zwischen verschiedenen Standorten entweder über teure Zweidraht- oder Vierdrahtverbindungen hergestellt, oder – was heutzutage häufig der Fall ist – über kostengünstige, aber datenreduziert arbeitende Audio-Codecs. Das zweite Verfahren bringt allerdings Qualitätseinbußen mit sich, was im krassen Widerspruch zu den ansonsten ständig steigenden Qualitätsstandards im Rundfunk steht.
Vernetzt man für den Programmaustausch jedoch die NEXUS-Audio-Router mehrerer Standorte, dann umgeht man all diese Nachteile. Tatsache ist, dass das Regionet des HR an jedem Standort vier lineare AES/EBU-Verbindungen gegenüber nur einer einzigen, datenreduziert arbeitenden Codec-Leitung bei der vorigen Lösung erlaubt. NEXUS bietet somit im Regionet-Verbund nicht nur eine höhere Audioqualität, sondern auch mehr Quantität und Flexibilität für die Nutzer.
Distanzen werden klein
Eine besondere Rolle für das Gelingen des Regionet-Projekts spielt die schnelle Glasfaserverbindung der in großer Distanz installierten Basisgeräte. Nur 3,5 ms (gegenüber ca. 13 ms bei Verwendung von Audio-Codecs) benötigt ein über NEXUS und die Dark-Fibre verschicktes Audiosignal vom Frankfurter Mutterhaus bis zu seinem entferntesten Standort in Kassel und von dort wieder zurück!
Die Verzögerungszeit auf dieser etwa 400 km langen Signalstrecke ist so kurz, dass man damit problemlos Live-Interviews und sogar Live-Musik über mehrere Standorte verteilt produzieren kann. Auch in Bezug auf die Laufzeit gilt somit, dass die Regionet-Lösung mit NEXUS ganz neue Anwendungsgebiete erschließen kann – ein durchaus erfreulicher Nebennutzen ohne Zusatzkosten.
Auch bei der digitalen Taktung geht der HR neue Wege und nutzt die Möglichkeit, den Digitaltakt über die NEXUS-Vernetzung an alle Standorte zu verteilen. Das führt dazu, dass alle NEXUS-Basisgeräte synchron auf dem gleichen Digitaltakt arbeiten. NEXUS dient ab sofort auch als Wordclock-Master in den einzelnen Regionalstudios.
Damit ist die gesamte digitale Audiotechnik des HR in all seinen Standorten synchronisiert und kann auf Abtastraten-Synchronizer in den Ein- und Ausgängen verzichten.
Metering für alle
Bei sechs Standorten mit jeweils vier AES/EBU-Anbindungen gilt es, viele ankommende und abgehende Verbindungen zu überwachen.
NEXUS unterstützt ein solches Monitoring schon seit langem mit der Multimetering-Anzeige, die ihren praktischen Nutzen auch im Regionet unter Beweis stellen könnte. Allerdings mit einer Einschränkung für den HR: Zwar sollen mehrere Nutzer die Multimetering-Anzeige sehen, aber lange nicht jeder Nutzer des Regionet darf auch mit dem NEXUS-Matrix-Programm Zugriff auf die Einstellungen und Schaltpunkte haben.
Abhilfe aus diesem Dilemma der Zugriffsrechte schafft eine neue Multimetering-Applikation, die völlig unabhängig vom Matrix-Programm läuft. Bis zu 48 Kanäle können mit der MultiMet.exe gleichzeitig überwacht werden, wobei die angezeigten Quellen und Senken frei wählbar sind. Die Farbgebung der Anzeige ist einstellbar und die Fenstergröße skalierbar. So lässt sich auch eine bildschirmfüllende Metering-Anzeige realisieren. Signalparameter wie zum Beispiel die Eingangsverstärkung können im Gegensatz zum klassischen Matrix-5-Metering selbstverständlich nicht verändert werden.
Die Kraft der Sprache
In einem großen Audionetz kommt der Überwachung der Technik mehr Bedeutung zu als in kleinen Installationen. Die NEXUS-interne Überwachung aller Module ist da von großem Vorteil. Fällt ein Modul – beispielsweise ein Netzteil eines NEXUS-Basisgeräts – aus, wird sofort eine Meldung mit genauen Fehlerangaben ausgegeben. Doch damit nicht genug: Häufig sollen auch externe Geräte in die Überwachung einbezogen werden. Im HR-Regionet-Projekt sind es unter anderem die angeschlossenen AES/EBU-Havarieschalter, die ständig überprüft werden. Die dazu eingesetzten Watchdogs schließen im Falle eines Fehlers einen Relaiskontakt am Eingang einer NEXUS-XRSI-Karte. Anschließend erzeugt das NEXUS-Unterprogramm Logic Control eine Fehlermeldung. Üblicherweise zeigt diese Meldung einen automatisch generierten numerischen Fehlercode. Ein neues Unterprogramm kann diesen Fehlercode nun automatisch in eine Klartext-Fehlermeldung umwandeln.
Anstelle der Fehlercode-Meldung »Fehler 4711« heißt es im HR jetzt beispielsweise »Fulda LTG1 Betriebsweg – kein Signal«. Diese Funktion lässt sich übrigens auch mit Symbolschriften und anderen Schreibweisen in nahezu jeder Sprache der Welt realisieren.
Rechts oder links?
NEXUS Logic Control wird noch für weitere Sicherheitsfunktionen im Regionet eingesetzt, vor allem im Bereich der Glasfaser-Überwachung. Aufgrund der langen Strecken mit angemieteter Dark Fibre besteht grundsätzlich immer die Möglichkeit, dass eine Glasfaser zwischen zwei Städten ausfällt. Um die Konsequenzen eines Streckenausfalls in möglichst kleinem Rahmen zu halten, erfolgte der Aufbau von Regionet durch eine Acht-Topologie zwischen den Städten. Das Mutterhaus Frankfurt fungiert dabei als Knoten der Acht. Damit existieren von jedem Standort zu jedem anderen Standort mindestens zwei Wege im Netz, nämlich im Kreis links herum beziehungsweise rechts herum.
Fällt nun ein Teilstück aus, erkennt NEXUS Logic Control diesen LWL-Error. Daraufhin werden im NEXUS über eine XCI-Karte ferngesteuert und vollautomatisch alle Koppelpunkte neu gesetzt, sprich der Status neu geladen. NEXUS realisiert in diesem Moment automatisch die alternative Verbindung in derjenigen Kreisrichtung, die von dem Streckenausfall nicht betroffen ist.
Wählerisch
In der jetzigen Projektphase werden die Audioverbindungen im Regionet statisch, wie fest gebuchte Standleitungen eines externen Providers, genutzt. Der Vorteil in dieser ersten Stufe liegt momentan in der größeren Anzahl an Audioverbindungen, verbunden mit hoher Tonqualität. Grundsätzlich ist aber auch eine dynamische Nutzung möglich, bei der die Verbindungskapazität je nach Bedarf unterschiedlich verwendet wird. Beispielsweise ist angedacht, den Redaktionen einen Pool an Quellen zur Verfügung zu stellen, die dann vom Anwender frei ausgewählt werden können. Das können zum Beispiel Börsen-News oder der Wetterbericht sein. Das tatsächliche Konzept wird derzeit noch mit den Redaktionen – den eigentlichen Nutzern von Regionet – erarbeitet. Eine schöne Situation für die Technik, die dank Regionet und NEXUS eine Flexibilität präsentieren kann, die dem Programm alle kreativen Freiräume für die Zukunft bietet.
CWDM im NEXUS
Die Anbindung über CWDM ist in NEXUS-Netzen kein Novum mehr. Erste Erfahrungen wurden schon bei den Vorbereitungen des Ski- Worldcups 2002 zusammen mit tv productioncenter zürich ag in St. Moritz gesammelt! Waren damals noch externe Transponder notwendig, so unterstützt die neue Glasfaserkarten-Generation diese Technologie nun direkt. Das heisst, dass die Glasfaser-Interfaces mit ausgewählten Frequenzbändern des bei CWDM-Übertragungen genutzten Wellenlängenbereichs arbeiten können, um sich die gleiche Faser mit anderen zu übertragenden Diensten teilen zu können.
Diese elegante Lösung hätte beim HR-Regionet die Kosten für einen externen Umsetzer eingespart. Trotzdem war dies zumindest für die erste Phase des Projekts keine Option, da der HR als langjähriger Anwender von NEXUS noch über zahlreiche ältere Glasfasermodule in der üblichen Breitbandausführung verfügte, die nun im Regionet zum Einsatz kommen.
Glossar:
1 Dark Fibre: Glasfaser oder ein CWDM-Band einer Faser eines Providers, bei der der Kunde selbst für das Licht auf der Leitung sorgen muss.
2 CWDM (Coarse Wavelength Division Multiplex)
Optisches Frequenzmultiplexverfahren, das bei der Übertragung von Daten über Glasfaserkabel Anwendung findet. Dabei werden aus verschiedenen Spektralfarben bestehende Lichtsignale zur Übertragung in einem Lichtwellenleiter eingesetzt.